Unternehmen werden in Deutschland üblicherweise und in Übereinstimmung mit dem Verband der Wirtschaftsprüfer nach der Ertragswertmethode bewertet. Danach definiert sich der Wert eines Unternehmens nach den zukünftig zu erwartenden Gewinnen, die ein Käufer aus dem Unternehmen generieren kann. Dieser Ertragswert wird rechnerisch über die (abgezinste) Summe der zukünftig zu erwartenden Jahresgewinne des Unternehmens ermittelt. Da die zukünftigen Gewinne unbekannt sind, werden diese von Gutachtern auf Basis realistischer Zukunftserwartungen berechnet bzw. geschätzt. Die Gewinnprognosen werden rechnerisch über einen unendlichen Zeitraum berücksichtigt.
Die methodische Besonderheit der sogenannten modifizierten Ertragswertmethode gegenüber der oben beschriebenen „reinen“ Ertragswertmethode besteht darin, dass die Erträge des Unternehmens Arztpraxis den Ertragswert nicht über einen unendlichen Zeitraum beschreiben, sondern über einen verkürzten, endlichen Kapitalisierungszeitraum.
Der verkürzte Kapitalisierungszeitraum erklärt sich aus dem Umstand, dass der Patientenzuspruch als dominierender Erfolgsfaktor einer Praxis in erster Linie vom Ruf des Praxisinhabers abhängt. Verkauft dieser seine Praxis, erhält der Nachfolger die Chance, die Patienten des Abgebers weiter zu behandeln. Mit Ausscheiden des Abgebers verflüchtigt sich jedoch der Ruf nach einer gewissen Zeitspanne und wird nach und nach durch den neu aufgebauten Ruf seines Nachfolgers ersetzt. Der Käufer profitiert also nur über eine beschränkte zeitliche Dauer von dem Ruf des Vorgängers. Daher rechtfertigt sich eine Goodwill-Berechnung nur über diesen Zeitraum weshalb der Kapitalisierungszeitraum für die Ermittlung des Goodwill sachlogisch auf diesen Zeitraum zu begrenzen ist.
Der Ansatz eines verkürzten Kapitalisierungszeitraums bedingt sich außerdem aus dem Umstand, dass einem potenziellen Käufer als Handlungsalternative auch die Praxisneugründung offen steht oder – falls es sich um ein gesperrtes Fachgebiet handelt – die Übernahme einer ertragsschwachen, d.h. günstigen Praxis des Fachgebiets. In beiden Fällen kann der potenzielle Käufer nach einigen Jahren der Aufbauarbeit die Umsätze und Gewinne erreichen, von denen bei Übernahme einer ertragsstarken Praxis unmittelbar profitieren kann. Über den Kapitalisierungszeitraum wird somit geschätzt, wie lange die zukünftigen Praxiserfolge auf die Tätigkeit des Praxisübergebers zurückzuführen ist (Dauer der Praxis-Rekonstruktion). Dabei ist bei der Einschätzung der Länge des Kapitalisierungszeitraums zu bedenken, dass der Übernahmevorteil im Zeitablauf beständig abnimmt, bis er sich die Erträge der selbst aufgebauten Praxis denen der alternativ übernommenen Praxis angeglichen hat.
Da sich die Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums mangels Operationalisierbarkeit der Einflussfaktoren einer mathematischen Ermittlungsmethode entzieht, ist es Aufgabe des Gutachters den Kapitalisierungszeitraum sachgerecht und gut begründet zu schätzen.
Die wichtigsten Einflussfaktoren auf den Kapitalisierungszeitraum sind die Patientenstruktur, die Praxisform sowie die Kombination aus örtlicher Lage und Konkurrenzsituation der Praxis. Darüber hinaus können auch noch weitere Einflussfaktoren bestehen, die individuell von der Praxis bzw. des Praxisumfeldes abhängen. So wäre etwa für eine hausärztliche Einzelpraxis mit hohem Privatpatientenanteil in einem offenen KV-Gebiet der Kapitalisierungszeitraum deutlich niedriger anzusetzen als für eine große radiologische Gemeinschaftspraxis mit einem großen Einzugsgebiet. Letztere verspricht gewöhnlich für einen neuen Teilhaber unmittelbar Gewinne in Höhe des Vorgängers, wobei zudem die Alternative, diesen Gewinn in absehbarer Zeit durch eine Neugründung zu erreichen, nur sehr schwierig umzusetzen wäre.
Der Verflüchtigungs- oder Kapitalisierungszeitraum wurde bei Arztpraxen in der Literatur im Bereich von 2 bis 5 Jahren angesetzt. Allerdings sind bei Fachrichtungen, bei denen eine Übernahme im Vergleich zur Neugründung nur geringe Vorteile aufweisen (z. B. offene Planungsbezirke bei Hausarztpraxen) auch geringere Kapitalisierungszeiträume von nur einem Jahr ggf. gerechtfertigt.
Durch den verkürzten Kapitalisierungszeitraum wird die Substanz der Arztpraxis nicht bzw. unvollständig bei der Wertermittlung berücksichtigt. Dies macht die gesonderte Berechnung des Substanzwertes erforderlich, der dem (verkürzten) Ertragswert oder Ideellen Wert hinzugerechnet werden muss.
Folglich wird bei der modifizierten Ertragswertmethode wird der Praxiswert aus der Summe aus Ideellem Wert und Substanzwert ermittelt.